Heute ist sie 57 Jahre alt. Als junge Frau in Deutschland hatte Christine Schlachter als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet, in ihrer Freizeit mit Jugendlichen. Neben ihrer Arbeit begann sie zu studieren, um dann mit Randgruppen in der Gesellschaft arbeiten zu können. Sie begann, die Bücher von Phil Bosmans zu lesen. Die Botschaft des Herzens packte sie:
Ich wollte Phil Bosmans unbedingt kennenlernen. Als ich ihm das erste Mal in Deutschland begegnete, war die Anziehungskraft groß. zwei Jahre später bin ich dann nach Antwerpen gezogen, um dort beim belgischen Bund ohne Namen mit ihm zu arbeiten. Er startete ein neues Projekt für Männer: Behinderte Erwachsene aus der Armenschicht, Obdachlose, Alkoholiker und Migranten sollten zusammenwohnen wie eine Familie. Sie mussten eine Arbeit suchen und auch die Hausarbeit selbst erledigen oder zumindest mithelfen. Jeder sollte nach seinen eigenen Bedürfnissen gefördert werden, jeder sollte selbstständig sein, um einander helfen und selbst jederzeit um Hilfe bitten zu können. Auf diese Weise sollten alle lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, Verantwortung zu übernehmen, zu arbeiten, um so an der Gesellschaft teilhaben zu können. Bei sehr vielen hat die Idee funktioniert, sehr viele haben durchgehalten. Ein bisschen stolz bin ich schon, vor allem aber sehr dankbar, dass ich dreizehn Jahre lang mit Phil Bosmans an diesem Projekt, dem »Damianhaus«, mitarbeiten durfte.
Unter den kleinen und verletzbaren Menschen im Damianhaus hat Phil Bosmans sich wohlgefühlt. Er hat oft mit uns zusammen gegessen, danach eine Zigarre geraucht und sich mit den Männern unterhalten oder einfach nur mit ihnen zusammen ferngesehen.
In all diesen Jahren war Phil Bosmans nicht nur mein Mentor, sondern auch ein sehr guter Freund, unendlich geduldig, ein aufmerksamer Zuhörer. Manchmal besuchte ich ihn nach der Arbeit und erzählte ihm von irgendeinem Problem, mit dem wir konfrontiert waren. Phil Bosmans hörte mir zu und begann, etwas zu erzählen, was er selbst einmal erlebt hatte. Und jedes Mal begannen sich meine Probleme beinahe von selbst zu lösen. Was er durch seine Erzählungen erreichte: Ich fing an, das, was ich als Problem erlebt hatte, von einer anderen Seite aus zu sehen. So lehrte er mich, eine Situation, die ich als Problem empfand, mit den Augen des anderen zu sehen. Und tatsächlich verstand ich dadurch nicht nur die Handlungsweise des anderen besser als vorher, sondern entdeckte auch Lösungsmöglichkeiten. »Versuch durch die Augen des Menschen zu sehen, mit dem du ein Problem hast« – dieses Motto habe ich von Pater Bosmans gelernt. Und noch etwas: »Gib nicht auf, wenn du für etwas brennst!«
Seit einigen Jahren arbeite ich auf einer Palliativstation für Sterbenskranke in Leuven/Belgien. Die Arbeit auf der Palliativstation ist psychisch eine sehr schwere Arbeit und nicht allzu viele Menschen aus meinem Bekanntenkreis verstehen, warum ich dort gerne arbeite: »Das ist doch nichts als tägliche Misere.« Die gibt es da sicher auch, aber es gibt bei uns auch viel Freude und Lachen. Bei uns geschieht alles wie in Zeitlupe, nichts muss, aber vieles kann. Phil Bosmans begleitet mich dort täglich. »Jeder Mensch ist die Mühe wert«, sagte er sehr oft. Und das setzen wir im Team dort in die Tat um. Ebenso versuche ich auch bei meiner jetzigen Arbeit durch die Augen der Patienten zu sehen. Was erzählen mir diese Augen? Welche Wünsche kann ich erkennen? Phil Bosmans hat mir gezeigt, mich zu fragen, was wirklich wichtig ist. Ist es wichtig, dass ich in einem Gespräch recht bekomme? Dass ich die Anerkennung bekomme, die mir zusteht? Dass es so abläuft, wie ich es mir vorstelle? Oder ist es für mich wichtig, dass es dem anderen gutgeht mit dem, was ich tue. Es sind die einfachen und so schwierigen Dinge, die mir Phil Bosmans gezeigt hat: zuhören können, die viele gutgemeinten Ratschläge nicht immer aussprechen, ein Lächeln in das Gesicht eines anderen zaubern, Geduld haben, viel Geduld und darauf vertrauen, dass es gut wird.